Guest Blog Post by Dr. Christian Hugo Hoffmann

Der Luxus im neuen Gewand

 

Vor einigen Jahren haben mein Kollege Dr. Frank Müller und ich beim Zukunftsinstitut noch den Tod des Luxus ausgerufen. Wir haben in unserer zukunftsgerichteten Analyse drei Treiber ausgemacht, die den Niedergang des Luxus einläuten: 1) Politische Checks and Balances erschweren den Stand der Eliten, die dem Luxus frönen; 2) Ein neuer Wertekanon, der zur Neuerfindung des Luxus führt, welcher mit dem klassischen Luxus nicht mehr viel zu tun hat; 3) Die Exitoption aus der sozialen Trennung durch Luxus in der digitalen Ära für diejenigen, die sich nicht länger provozieren lassen wollen durch Luxusanhänger. Wenngleich ich denke, dass diese Treiber nach wie vor gültig sind und ihre Berechtigung haben, so schlage ich hier doch aus der unternehmerischen Brille einen deutlich versöhnlicheren Ton an, der im Geiste vom drittgenannten Treiber, also im Kontext von der digitalen Transformation steht. Die These hier lautet, dass im Zuge der Digitalisierung von vielen unserer Lebensbereiche der Wandel des Luxus nicht so radikal ausfallen muss, dass der Luxus im Grundsatz oder im Kern infrage gestellt ist. Meiner Prognose nach trifft dieses Ausbleiben des Todesläuten zumindest in der näheren Zukunft zu.

 

Old luxury, seine Ausprägungen, Eigenschaften und eine Diagnose

Um zu eruieren, ob Luxus seinem Untergang geweiht oder eben doch nur einem, inkrementellen Wandel unterworfen ist, ist zunächst zu klären, was Luxus im Kern ausmacht. Häufig synonym oder nicht trennscharf verwendete Begriffe wie Prestige oder Premium erschweren dabei die semantische Festlegung. Luxus ist durch zwei wesentliche Merkmale gekennzeichnet. Erstens repräsentieren Luxusgüter oder -dienstleistungen einen Superlativ oder Weltrekord, welcher in irgendeiner Form gemessen werden kann: Anzahl benötigter Arbeitsstunden, Gewicht gemessen in Karat, Höhe der Herstellungskosten, Alter einer Manufaktur, seltenste handwerkliche Techniken, Funktionsdauer oder sonstige Leistungsmerkmale. Der Preis eines Luxusgutes ist dabei lediglich Ausdruck einer besonderen Exklusivität, nicht aber sein konstitutives Merkmal. Zweitens kennzeichnet Luxus seine identitätsstiftende Kraft. Diese wird durch Kommunikation des Herstellers in Form von Werbung, Social Media, Events usw. generiert. Luxuskonsum erlaubt die Identifikation mit einer Markenbotschaft, um sich zum einen seiner Individualität und zum anderen seines Bezugs zur Gesellschaft bewusst zu werden. Durch den Erwerb von Schmuck, Yachten, Sportwagen, Kleidung, antiker Bücher usw. attribuieren sich Konsumenten mit Persönlichkeitsmerkmalen wie reich, mächtig, schön, gebildet oder jung. Typische Luxusmarken sind Steinway & Sons, Rolls-Royce oder die Bayreuther Festspiele. Insbesondere der Aspekt der äusseren Identität, also die Beziehung eines Menschen zu seinem Umfeld, ist für die Faszination Luxus massgeblich. Denn im Zusammenspiel von Produktweltrekord, dem mit ihm verbundenen sehr hohen Anschaffungspreis und dem Wunsch des Verbrauchers nach sozialer Verortung ergibt sich jene Brüskierung, die Luxus schon in antiken Zeiten für Autoren wie Platon, Seneca, Cato zum Reizobjekt machte: Die Funktion von Luxus ist das sozial Trennende elitär zu betonen: Sei es – je nach Blickwinkel – in integrativer Weise, indem sich ein Konsument durch den Erwerb eines Luxusgutes einer „höheren“ Gruppe zugehörig fühlt; sei es in diskriminierender Weise, indem er sich von seiner „tieferen“ Umgebung abgrenzt. Die konstitutive Aufgabe von Luxus ist das Angebot einer sozialen Selektion – und damit pure Provokation.

 

Da beide Hauptmerkmale des Luxus für Luxus im digitalen Zeitalter, zumindest in der näheren Zukunft sowie in abgeschwächter Form, erhalten bleiben, skizziere ich im Folgenden eher das neue Gewand des Luxus als von seinem Ende zu sprechen. Statt einem Ende, sehen auch Beratungsinstitute und Experten im Gegenteil dynamische, anziehende Märkte für Luxusartikel und -services. So wird erwartet, dass die globalen Luxusmärkte im Jahr 2023 um fünf bis zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr wachsen werden, da die Nachfrage in der "Post-Pandemie-Ära" wächst, wie ein neuer Bericht der Unternehmensberatung Bain und des italienischen Luxusverbands Altagamma zeigt. Es wird erwartet, dass der Markt in diesem Jahr einen Wert zwischen 360 und 380 Milliarden Euro erreichen wird, gegenüber 345 Milliarden Euro im Jahr 2022. Bain prognostiziert ferner, dass er bis 2030 einen Wert zwischen 530 und 570 Milliarden Euro erreichen könnte – etwa das 2,5-Fache des Wertes von 2020. Geografisch gesehen wird das Wachstum aus Asien und Europa kommen, während sich der Abschwung in den USA fortsetzen dürfte, da steigende Inflationsraten und eine anhaltende Rezession die Ausgaben der anspruchsvollen Luxuskonsumenten einschränken.

 

Ein spezieller Aspekt im globalen und in unserem europäischen Wachstum ist von besonderem Belang dabei, nämlich das steigende Wachstum des Online-Verkaufs von Luxusprodukten.

 

 

Mehr digitale Transformation wagen

Viele der begehrtesten Luxusmarken der Welt haben den Übergang zur digitalen Transformation erfolgreich initiiert. Da laut Cegid 20 Prozent der Luxusgüterverkäufe bis 2025 online getätigt werden, verstärken die Marken weiter ihr digitales Engagement: Sie bieten zusätzliche Anreize für Kunden wie personalisierte Geschenkverpackungen in den Geschäften oder VIP-Zugang zu privaten Veranstaltungen. Sie treten auch über Social-Media-Plattformen wie WhatsApp und Facebook Messenger direkter mit ihren Kunden in Kontakt. Verschiedene Luxusmodemarken setzen auf modernste Technologie. Louis Vuitton stellte auf der VivaTech 2021 einen neuen Online-Chatbot-Service vor und behauptete, dass dank künstlicher Intelligenz (KI) über 60 Prozent der Kundenanfragen rund um die Uhr bearbeitet werden können. Gucci bietet seinen Kunden Zugang zu Online-Verkaufsberatern, und Chanel hat in Zusammenarbeit mit Farfetch einen virtuellen Anprobeservice entwickelt.

 

Virtuelle Realität und das Metaverse sind in diesem Zusammenhang zwei der jüngsten Trends im Luxuseinzelhandel. Viele Luxusmarken erkunden diese neue Welt, darunter Louis Vuitton, Fendi, Dolce & Gabbana, Gucci, Burberry und Prada. Luis Vuitton hat zum Beispiel Outfits für die Charaktere des Videospiels League of Legends entworfen, die die Spieler kaufen können. Dolce & Gabbana verkaufte im September neun NFTs (Non-Fungible Token, ein Kryptowert) in Form von Kleidern, Anzügen, Diademen und Kronen für 1.885.719 Ether (eine führende Kryptowährung), was einem Wert von über 6 Millionen Euro entspricht. Und einige Marken beginnen, Kryptowährungen als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Das Zusammengehen von solchen neuen Technologien wie Blockchain und Luxus mag spätestens auf den zweiten Blick nicht mehr überraschen. Denn basierend auf der obigen Charakterisierung von Luxus wird schnell klar, dass Werte wie Seltenheit, Exklusivität, hochwertige Gegenstände und die VIP-Dimension bindende Elemente zwischen beiden Welten darstellen, der des klassischen Luxus und der der neuen Technologien wie KI, Blockchain und Kryptowährungen. Ein Bericht von Morgan Stanley vom November 2021 schätzt, dass NFTs und Online-Glücksspiele bis 2030 zehn Prozent des Luxusmarktes ausmachen und einen Umsatz von über 50 Milliarden Euro erzielen könnten. Das Web 3.0 bietet neue Möglichkeiten für Marken, indem es spielerische und futuristische Verbindungen zu neuen Generationen schafft. Eine Sparte von Unternehmen im Luxusmarkt, die diesen Trend der Digitalisierung umfänglicher und besonders eindrücklich prägen und gleichzeitig ausnutzen, sind, wie in den meisten Bereichen von Innovationen, Startups; hier solche, die im Luxussegment mitmischen. Aus diesem Grund nähern wir uns hier abschliessend dem Impact der Digitalisierung auf die Zukunft des Luxus durch eine Fallstudie zu einem paradigmatischen Startup, welches Luxusprodukte vermarktet.   

 

 

Fallstudie mit Best Practice: Cervin Blanc

Ein vielsagendes Paradebeispiel unter den im Luxusmarkt aktiven Startups ist die Schweizer Jungfirma Cervin Blanc (www.cervinblanc.com), das prima facie (genau wie die grossen Namen es auch schon tun) edlen Schmuck weltweit über Online-Kanäle verkauft. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass die junge und relativ kleine Marke bereits an hochkarätigen Schweizer Orten wie dem Gstaad Palace und dem Alpina Gstaad platziert ist und zahlreiche Zeitschriftenartikel, Interviews und Rezensionen veröffentlicht hat. Ungeachtet dieser klaren Erfolge ist jedoch die Frage angebracht, was davon Cervin Blanc speziell macht und aufsehen lässt. Die direkte Antwort darauf ist, dass die Firma par excellence für den nachstehenden Slogan steht, der die Zukunft des Luxus gut zusammenfasst: Wenn es um Luxus geht, ist weniger jetzt tatsächlich mehr. Was bedeutet das?

 

Drei Punkte über Cervin Blanc springen dabei ins Auge:

 

  • Weniger Markteintrittshürden für Kunden durch digitales Angebot: Cervin Blanc macht Luxus für die zeit- und vergleichsweise Geld-arme, jedoch technikaffine Generation zugänglich. Trotz der oben skizzierten Initiativen von Global Players wie Dolce & Gabbana, Gucci oder eben Cartier klafft im digitalen Bereich eine grosse Lücke, denn die Geschäftsmodelle speziell traditioneller Juweliere sind häufig veraltet und überholt.
  • Cervin Blanc bietet eine Version von Luxus im digitalen Bereich, der die Marktlücke ausnutzt und diejenigen bedient, unter anderem Nutzer auf TikTok, die sich echten Edelschmuck noch nicht leisten können. Diese zukünftigen Generationen sind zunehmend im Metaverse aktiv. Wiewohl das Metaverse heute noch in den Kinderschuhen steckt, ermöglicht ein frühzeitiger Einstieg, die Marke an mehreren Punkten der Customer Journey weiterzuentwickeln.
  • Weniger Exzess und Kosten: Es besteht ein enormes Potenzial zur Senkung der Kosten für den stationären Handel durch die Erprobung einer 3D-Boutique mit Online-Kundensupport und Schmuckanprobefiltern. Das sogenannte Clicks & Bricks Modell kommt ohne fixe Gemeinkosten und belastende Mieten aus; Clicks: Online-Verkaufskanäle, digital herunterladbarer Schmuck, NFT, Blockchain; Bricks: Ausgewählte strategische High-End-Platzierungen von Markenfenstern und Markenpartnern. Derzeit gibt es im Markt keine andere Pionierarbeit leistende Schmuckmarke mit einem solchen Real and Reel Angebot, was nicht zuletzt im Sinne der Nachhaltigkeit Abfälle im Luxusbereich reduziert.
  • Weniger soziale Isolation und Öffnung für Sparmodelle: Die Neugier auf den digitalen Raum und die Blockchain-Tokenisierung von Edelschmuck sind zwar noch relativ neue Konzepte. Allerdings offeriert Cervin Blanc schon heute ein digitales Produkt, das durch ein je echtes Gold- und Diamantenprodukt unterstützt und abgesichert wird. Jedes heruntergeladene digitale Produkt gibt dem Käufer und der Käuferin eine prozentuale Gutschrift auf zukünftige Käufe von physischen, nicht virtuellen Produkten bei Cervin Blanc und etabliert damit Markentreue. Business Sense schlägt hier klar vor allem das zweite Hauptmerkmal des klassischen Luxus, den Wunsch nach sozialer Isolation. Dies weicht das althergebrachte Verständnis von Luxus auf, kleidet Luxus in sein neues Gewand und drückt nicht zuletzt den gesunden Pragmatismus von Unternehmern aus.

 

 

 

 Über den Autor

 

Dr. Christian Hugo Hoffmann ist von Haus aus Tech-Unternehmer und hat bereits drei Software-Startups in Deutschland, der Schweiz und Malawi gegründet. Darüber hinaus war er stellvertretender Direktor und Leiter des Bereichs KI am Swiss Fintech Innovation Lab der Universität Zürich, ist heute Mitglied des Zentrums für Ethik und leitet das Swiss AI Startup Center im Technopark Zürich. In seiner Freizeit schreibt er regelmässig Beiträge über KI, Digitalisierung sowie ethische Fragen wie denen nach dem Status von Luxus in führenden Medien wie NZZ, Schweizer Monat und Towards Data Science.